von: Norbert Fluhr
Ensemble „Off the beaten path“ präsentiert in der Stephanuskirche moderne Musicalmelodien
KASTEL - Acht Stimmen – ein Klavier. Ein Name ist Programm. Und für die Fans des neunköpfigen Ensembles „Off the beaten path“ ein belebender Klanggenuss in der evangelischen Stephanuskirche. Ein Abend mit Melodien abseits des Musical-Mainstreams, ganz im Sinne des musikalischen Leiters Daniel Schäfer. Und wenn dann noch das Ensemble nach seinem Debüt seine Gage der Stephanusgemeinde zur Verfügung stellt, darf sich auch der Kirchenvorstand freuen.
Aufregende Show in der Kirche
Das Ensemble bedient zwar das Musical-Genre, verzichtet aber in seinem Repertoire auf die bekannten Melodien gängiger musikalischer Darbietungen. Mit dem Lied „Lass den Atem fließen“ aus dem erstmals in New York aufgeführten Musical „Edges“ von Justin Paul und Benj Pasek eröffnete das Ensemble einen vermeintlich ungewohnten Klanggenuss im Gotteshaus. Eine aufregende Show, in der sich vier junge Erwachsene Gedanken über das Älterwerden machen. Im Musical „Pinkelstadt“ besingt Sara von der Osten-Sacken eine Stadt, in der aufgrund einer jahrelangen Dürrezeit Wassermangel herrscht. Die Vorschriften erscheinen befremdend, denn das Urinieren ist verboten. Für jeden scheint die Zeit zum richtigen Handeln zu kommen, so heißt es im Lied „Caught in the storm“, das Daniel Schäfer aus dem Musical „Smash“ inbrünstig intoniert. Ein Musical, das sich um das Leben Marilyn Monroes rankt, und mit dem von Viola Granow und Lisa Schäfer intonierten Titel „Don’t forget me“ dramaturgisch aufbereitet wird.
Philosophisch angehaucht ist das Lied „Wait for it“ aus dem Musical „Hamilton“, die „Heroes“ aus dem Musical „Wonderland“ sehnt sich das Ensemble einfühlsam herbei, während das „Glory“ musikalisch die amerikanische Bürgerrechtsbewegung bei ihren Märschen von Selma nach Montgomery thematisiert. Kristian Siedler und Steffen Stork schlüpfen in dem Lied „Not my father’s son“ aus dem Film „Kinky Boots“ gemeinsam in die Rolle von Charlie Price, der die marode Schuhfabrik des Vaters mit Stiefeln für Dragqueens auf Vordermann bringen möchte. Siedler und Daniel Schäfer laden zu einer Zeitreise ins New Yorker East Village ein.
Im Musical „Rent“ fühlt sich das Duo im Kreis der Avantgardisten im „zu Ende gehenden Jahrhundert Amerikas“ wohl. Das Casting bestimmt das Leben eines Jazz-Pianisten und einer aufstrebenden Schauspielerin im „La La Land“, ein US-amerikanischer Spielfilm. Mit der Melodie „Bring me to light“ aus dem Musical „Violet“ und der Erkenntnis „Mich zu lieben, wie ich bin“ aus der „Side Show“ stellt das Amateur-Ensemble seine gesanglichen Fertigkeiten erneut unter Beweis. In englischer Sprache lässt das Damenquartett die Melodie „Some things are meant to be“ aus dem Musical „Little Women“ einfühlsam erklingen, stets in dem Bemühen, dass „Betty und ihre Schwestern“ endlich erwachsen werden.
In seinem Drama „Frühlingserwachen“ beschrieb Frank Wedekind das Leben von pubertierenden Jugendlichen. Der Komponist Duncan Sheik und der Texter Steven Sater haben diese literarische Vorlage in ihrem Musical verarbeitet. Da bleibt nur das Vertrauen auf den „Tag, der kommt“. Das „Lied vom neuen Sommer“ verspricht jedenfalls einen Neuanfang in der Erkenntnis, dass „der Himmel unendlich weit erscheint, aber viele Wunder bereit hält“. Einfühlsame, warme Botschaften, die das Ensemble zum Abschluss des begeistert aufgenommenen Benefiz-Konzerts verströmt. Ein Abend mit Melodien abseits des Musical-Mainstreams, dessen Spendenerlös dem Brotkorb zugutekommt.
von: Thomas Wagner
Matilda, Edges, Hamilton, Dear Evan Hansen – was sich liest wie die Wunschliste so mancher Musical-Begeisterter für den Spielplan der deutschen Musicalhäuser, steht in Mainz bei „Off the beaten path“ neben weiteren hierzulande noch weniger bekannten Stücken auf dem Programm für einen einzigen Abend.
Dabei werden die Stücke bei der jungen Mainzer Gruppe nicht im Ganzen aufgeführt, sondern konzertant und in Auszügen präsentiert. Die Rahmenbedingungen sind stark reduziert („Acht Stimmen, ein Klavier“), die Zielsetzung nicht: „Off the beaten path“ haben sich auf die Fahne geschrieben, Musical-Songs „abseits des Mainstreams“ eine Bühne zu bereiten. Die neun Akteure rekrutieren sich aus ehemaligen und aktuellen Mitgliedern der Amateurgruppen „Musical Inc.“ und „Musical Tomorrow“, welche sich im Rhein-Main-Gebiet schon mit Musicalproduktionen und/oder Gala-Abenden einen Namen gemacht haben. Mit dem neuen Projekt möchte sich die Gruppe aber weniger bekannten Stücken und Songs widmen, die „dennoch auf die Bühne gehören“.
Die ersten Konzerte der Formation fanden im Mainzer „Kulturloft“ statt. Dieses alte Fabrik-Hinterhaus wurde 2015 von Zauberkünstler Oliver de Luca „entdeckt“ und in eine kleine Bühne umgestaltet. Der Besitzer tritt hier aber nicht nur selbst auf, sondern veranstaltet regelmäßige „Salonabende“ mit verschiedenen Akteuren und Gruppen Die sehr gemütliche, überschaubare Location (ca. 50 Sitzplätze) bietet einen sehr schönen Rahmen für die Veranstaltung. Egal von welchem Platz aus, der Zuschauer fühlt sich mittendrin im Geschehen. Die acht Sängerinnen und Sänger füllen die Bühne auch beinahe vollständig, der Pianist nimmt davor Platz.
Schon mit der ersten Ensemblenummer, „Light“ aus dem (schon etwas bekannteren) Next to Normal zeigt das Ensemble seine
Stärken. Timing und Sprachbehandlung sind hervorragend, man versteht tatsächlich (fast) jedes Wort, auch im komplizierten Schlussteil sind alle Stimmen trotz verschachtelter Texte und Rhythmen
klar zu erkennen (Einstudierung: Daniel Schäfer). Im weiteren Verlauf wechseln sich Solonummern und kleinere Ensembles mit der kompletten
Besetzung ab. Dabei ergeben sich eine ganze Reihe von tollen Klangmischungen – alle SängerInnen sind gut aufeinander eingestellt. Für einige Gänsehautmomente sorgt das Trio Carolin Kascha, Lisa Schäfer und Daniel Schäfermit „Requiem“ aus „Dear Evan Hansen“ – ein Stück, das viele Musicalfans sicherlich gerne einmal komplett auf
einer deutschen Bühne sehen würden. Überhaupt liest sich der Programmzettel wie eine Wunschliste als Ausweg aus der oft diskutierten eingeschränkten Auswahl an den großen Häusern. Neben den schon
erwähnten „Krachern“ sind unter anderem auch Auszüge aus Matilda (witzige Ensemblenummer: „When I grow up“), Bonnie & Clyde (ergreifende Performance von Sara Gaußmann mit „Dying ain’t so bad“), Kristian Siedler mit dem nachdenklichen, berührenden
„Not my father’s son“ aus Kinky Boots und „Catch me if you can“ (vertreten durch die auch solistisch überzeugende Lisa Schäfer mit „Fly,
Fly away“) im ersten Teil zu hören.
Auch wenn die ausgewählten Songs / Stücke zu den eher selten gespielten gehören, sind doch innerhalb des Programms wiederum Schwerpunkte auf sehr aktuellen Broadway-Produktionen festzustellen.
Der zweite Teil widmet sich „Hamilton“ gleich zweimal: Henrik Vilhelmsson gibt einen herrlich abgedrehten König in „You’ll be back“ –
nach dem eher balladenlastigen ersten Teil eine sehr erfrischende Abwechslung. Steffen Storck übernimmt und präsentiert „History has its
eyes on you“ mit starkem stimmlichem und darstellerischem Ausdruck. Das Ensemble wagt sich gegen Ende dann sogar noch ein Stück weiter Richtung Mainstream: „The Fools who dream“ aus „La La Land“
gelingt Viola Granow sehr klangschön und intim. Daniel
Schäfers stimmgewaltiges „Broadway here I come“ aus der Serie „Smash“ kurz vor Schluss hat tatsächlich das Potential zum „Smash Hit“ und bleibt noch lange im Gedächtnis.
Alle diese musikalischen Welten werden vom „Mann am Klavier“ bestens zusammengeführt, aber auch fein differenziert begleitet. Andreas Blatt zeigt im Zusammenspiel mit den Solisten und Ensembles, dass es in einem Konzertrahmen auch mal sehr gut ohne großes Orchester oder Band geht. Dabei ist das in den örtlichen Gegebenheiten alles andere als selbstverständlich. So schön und atmosphärisch passend das Kulturloft ist, so schwierig macht die trockene Akustik es dem Ensemble und der Tontechnik, einen guten, homogenen Sound zu erzeugen. Hier gibt es dennoch wenig Grund zur Beschwerde – nur manchmal wünscht man sich etwas mehr „Wumms“ in den größeren Ensemblenummern. Die Programmauswahl ist unter diesem Aspekt betrachtet vermutlich zu recht etwas balladenlastig geraten.
Der Abend endet (fast), wie er begonnen hat: Das Ensemble tritt noch einmal vollständig an und schließt die Klammer mit „Bring me to light“ aus „Violet“. Insgesamt ist der Konzertabend mit „Off the beaten path“ sehr kurzweilig und schickt die Zuhörer auf eine tolle Reise durch all die Stücke, die eben leider nicht oft auf den Spielplänen auftauchen. Das Ensemble zeigt mit diesem Programm, dass sich das aber in vielen Fällen sehr wohl lohnen könnte. Ebenso lohnt es sich mit Sicherheit, die Augen und Ohren nach weiteren Konzerten der jungen Formation offen zu halten.
Besuchte Vorstellung: 24.09.2017
Musikalische Leitung: Daniel Schäfer
Klavier/Korrepetition: Andreas Blatt
Technik: Klaas Mertens, Oliver de Luca
Besetzung: Sara Gaußmann, Viola Granow, Carolin Kascha, Kristian Siedler, Daniel Schäfer, Lisa Schäfer, Steffen Storck, Henrik Vilhelmsson.